Der digitale Papiertiger

Dieser Thread auf Twitter hat mich zum Nachdenken gebracht… labern wir wirklich nur über Kultur und packen nichts an?

Natürlich müssen die digitalen Bürgerbedürfnisse erfüllt werden! Aber ohne den Kulturwechsel, das Neudenken von Kommunikation und Prozessen von innen nach außen wird das Befriedigen dieser digitalen Bürgerbedürfnisse nicht funktionieren! Es hilft nichts, den alten Zöpfen eine digitale Haube überzuziehen. Es bleiben alle Zöpfe!

Gerade gestern habe ich persönlich ein Paradebeispiel einer Befriedigung von digitalen Kundenprozessen, losgelöst von der Gesamtheit der Unternehmensprozesse erlebt.

Mein Ziel: Vorversicherungszeiten bei einer Versicherung anerkennen lassen. Ist ja kein Problem, dachte ich.

Die Webseite der Versicherung aufgerufen. Servicebereich für Versicherte. „Sie müssen sich erst registrieren, um auf den Servicebereich für Versicherte zugreifen zu können“. Also Registrierung durchgeführt, e-Mailadresse bestätigt. „Zur Authentifizierung benötigen Sie einen Verifizierungscode. Dieser wird Ihnen in den nächsten Tagen per Post (an die gerade erfasste Adresse!) zugesandt.“ Nun gut, wenn ich dann authentifiziert bin, steht einer Online-Dienstleistung nichts im Wege – dachte ich.

2 Tage später erhielt ich den Brief mit dem Verifizierungscode. Webseite aufrufen, Code eingeben, fertig. Dann hatte ich endlich Zugang für den Servicebereich für Versicherte. Und was bekomme ich da geboten? Keine einzige direkte Dienstleistung, lediglich pdf-Formulare zum Download. Beim Öffnen des entsprechenden Formulars zur Überleitung von Vorversicherungszeiten erscheint auch prompt ein Pop-up „Bitte ausfüllen, ausdrucken und unterzeichnet per Post an uns zurücksenden.“

Hier wird die Digitalisierung mit Füßen getreten! Und genau das passiert, wenn Digitalisierung von außen nach innen versucht wird. Immer wieder höre ich: „Wir müssen digitale Angebote für unsere Kunden schaffen!“. Doch was bringt das, wenn die interne Kommunikation und Unternehmenskultur noch in der Steinzeit verharrt und Papier und Unterschrift noch das alleinige Mittel der Wahl sind? Medienbrüche, zusätzliche Aufwände und vor allem, keine Akzeptanz der Mitarbeitenden! Die Digitalisierung verkommt zur Mehrbelastung! In manchen Unternehmen hat dieses Wort bereits Schimpfwortcharakter und ehrlich gesagt, es verwundert mich nicht! Wenn die Digitalisierung nur zu Papiertigern verkommt, digitale Prozesse künstlich angedockt werden und als Mehrbelastung auf die Mitarbeitenden abgewälzt wird, dann kann ich den Unmut und die Unlust mehr als verstehen.

Die Kommunikation und das Miteinander haben sich längst verändert. Die digitale Transformation ist in vollem Gang! Zeit, dass sich Arbeitsprozesse, Kommunikation und Miteinander in den Unternehmen ebenfalls verändern. Die Technik ist nur das Werkzeug dazu! Wenn dieses Veränderungsdenken nach außen getragen wird, ist das Befriedigen von digitalen Kundenbedürfnissen nur noch eine Randerscheinung, eine Randerscheinung mit Mehrwert!

Übrigens: die Versicherung hat einen De-Mail-Zugang. Die Möglichkeit, den Antrag via De-Mail zu stellen wurde natürlich nicht angeboten. Habe ich jetzt aber getan und bin gespannt, ob das funktioniert!?