„Die Digitalisierung löst all unsere Probleme! Wir werden effizienter und schneller in unserer Arbeit.“ Leider ist es nicht so einfach!
Ein ineffizienter Prozess bleibt auch nach der Digitalisierung ineffizient – bedeutet, dass die bloße Umstellung eines Prozesses auf digitale Technologien nicht automatisch zu einer Verbesserung führt. Wenn ein Prozess von Grund auf schlecht gestaltet ist, wird er auch in digitaler Form seine Schwächen beibehalten.
Einige Punkte zur Verdeutlichung
Grundlegende Probleme: Wenn ein Prozess unnötig kompliziert, langsam oder fehleranfällig ist, werden diese Probleme durch die Digitalisierung nicht gelöst. Sie werden lediglich in eine digitale Umgebung übertragen.
Technologie allein reicht nicht: Die Einführung neuer Technologien kann zwar Werkzeuge und Möglichkeiten bieten, aber ohne eine durchdachte Prozessgestaltung und -optimierung bleibt das Potenzial dieser Technologien ungenutzt.
Menschliche Faktoren: Auch die besten digitalen Prozesse können scheitern, wenn die beteiligten Personen nicht entsprechend geschult oder motiviert sind. Die Akzeptanz und das Verständnis der Nutzer sind entscheidend für den Erfolg.
Menschliche Faktoren: Auch die besten digitalen Prozesse können scheitern, wenn die beteiligten Personen nicht entsprechend geschult oder motiviert sind. Die Akzeptanz und das Verständnis der Nutzer sind entscheidend für den Erfolg.
Eine kleine Geschichte:
In einer lebhaften Eventmanagement-Agentur namens “EventMasters” arbeitete ein kreatives Team von Planern, Designern und Koordinatoren. Die Agentur hatte in den letzten Jahren viele hochkarätige Veranstaltungen organisiert und war bekannt für ihre innovativen Ideen und reibungslosen Abläufe. Doch mit dem Wachstum der Agentur wurden die Arbeitsprozesse immer komplexer.
Die Geschäftsführerin, Frau Schmidt, entschied, dass es an der Zeit sei, eine neue Software für das Projektmanagement einzuführen, um die Effizienz zu steigern. Auf einer Fachmesse entdeckte sie eine vielversprechende Software und beschloss, sie sofort zu kaufen, ohne das Team zu konsultieren oder die bestehenden Arbeitsprozesse zu analysieren.
Nach der Einführung der neuen Software herrschte Chaos. Die Software passte nicht zu den etablierten Arbeitsabläufen, und die Mitarbeitenden hatten Schwierigkeiten, sich an die neuen Prozesse anzupassen. Die Planung und Durchführung von Veranstaltungen verzögerte sich, und die Kunden waren unzufrieden.
Frau Schmidt rief eine Krisensitzung ein, um die Probleme zu besprechen. Tom, ein erfahrener Eventkoordinator, äußerte seine Bedenken: “Frau Schmidt, ich glaube, wir haben den Fehler gemacht, die Software vor unseren Prozessen auszuwählen. Wir sollten zuerst unsere Arbeitsabläufe analysieren und optimieren und dann eine Software finden, die diese unterstützt.”
Frau Schmidt erkannte ihren Fehler und stimmte zu. Das Team begann, die bestehenden Prozesse zu analysieren und Schwachstellen zu identifizieren. Sie arbeiteten gemeinsam daran, die Abläufe zu optimieren und klare Anforderungen an die neue Software zu definieren.
Nach einigen Wochen intensiver Arbeit und Recherche fand das Team eine Software, die perfekt zu ihren optimierten Prozessen passte. Sie führten die Software in einer Pilotphase ein und stellten sicher, dass sie die Arbeitsabläufe unterstützte und verbesserte. Die Mitarbeitenden wurden geschult, und die Software wurde vollständig implementiert.
Die Effizienz der Agentur stieg wieder an, und die Mitarbeitenden waren zufriedener und motivierter als je zuvor. Die Kunden waren beeindruckt von der reibungslosen Organisation der Veranstaltungen, und “EventMasters” gewann sogar neue Aufträge. Frau Schmidt war dankbar für die wertvolle Lektion und wusste nun, dass die Analyse und Optimierung der Arbeitsprozesse der Schlüssel zum Erfolg war.
Das Prinzip „Processes first“ (deutsch: „Prozesse zuerst“) ist ein zentrales Konzept im Bereich der Geschäftsprozessmodellierung und -optimierung. Es beschreibt eine Vorgehensweise, bei der die Gestaltung und Optimierung von Geschäftsprozessen Vorrang vor der Auswahl oder Implementierung von IT-Systemen und -Lösungen hat. Das Ziel ist es, zuerst die Geschäftsprozesse klar und effizient zu gestalten, bevor man technologische Lösungen entwickelt oder auswählt, die diese Prozesse unterstützen.
Wesentliche Merkmale des „Processes first“-Ansatzes
Fokus auf Geschäftsprozesse: Anstatt sich zuerst auf Software oder Technologie zu konzentrieren, wird der Schwerpunkt auf eine gründliche Analyse und Gestaltung der Geschäftsprozesse gelegt. Es wird sichergestellt, dass die Prozesse den Unternehmenszielen entsprechen und effizient gestaltet sind.
Technologie als Unterstützer, nicht als Treiber: IT-Systeme und technologische Lösungen sollen die definierten Prozesse unterstützen und nicht umgekehrt. Die Technologie wird erst dann in Betracht gezogen, wenn die Geschäftsprozesse klar definiert und optimiert sind.
Verbesserung der Geschäftsziele: Der Ansatz zielt darauf ab, die Effizienz, Effektivität und Flexibilität der Geschäftsprozesse zu verbessern, was wiederum zur Erreichung der strategischen Unternehmensziele beiträgt.
Reduktion von Komplexität: Durch eine gezielte Prozessmodellierung wird die Komplexität der Geschäftsabläufe reduziert. Dies erleichtert es später, passende IT-Systeme zu integrieren, anstatt Systeme zu haben, die unnötige Komplexitäten verursachen.
Agilität und Anpassungsfähigkeit: Wenn Prozesse klar definiert und optimiert sind, können Unternehmen schneller auf Marktveränderungen oder neue Anforderungen reagieren, da sie auf einer klaren Prozessbasis aufbauen.
Der “Processes first”-Ansatz bietet zahlreiche Vorteile. Durch die frühzeitige Analyse und Modellierung von Prozessen wird eine bessere Transparenz erreicht, was zu einem tieferen Verständnis der Abläufe im Unternehmen führt. Optimierte Prozesse tragen zu einer effizienteren Nutzung von Ressourcen bei und reduzieren Redundanzen, was die Effizienz insgesamt steigert. Unternehmen, die ihre Prozesse klar definiert haben, können langfristig flexibler agieren, da sie schneller auf Veränderungen reagieren und ihre IT-Lösungen leichter anpassen können. Zudem werden Fehlinvestitionen vermieden, da Investitionen in IT-Systeme, die nicht den tatsächlichen Geschäftsanforderungen entsprechen, vermieden werden können.
Anwendung in der Praxis
Die Beschäftigung mit den Abläufen und Prozessen in einem Unternehmen habe ich oft als unbeliebt erlebt. Oftmals begegnen mir Sätze wie „natürlich kennen wir unsere Vorgehensweisen. Wir machen das schon so lange…“. Nicht selten erlebe ich dann, wie aus einer 5-Schritt-Prozesskette eine Prozessdokumentation mit Überlänge und gefühlt 100 Ausnahmen wird.
Das bloße Aufzeichnen und Beschreiben eines Prozesses schafft ein Bewusstsein dafür, welche Schritte in der täglichen Arbeit unternommen werden. Oft entstehen dabei Prozesslandschaften, die in ihrer aktuellen Form nicht mehr notwendig sind. Schritte, die einst aufgrund bestimmter Umstände erforderlich waren, haben heute ihre Bedeutung verloren, werden jedoch weiterhin ausgeführt. Durch diese Analyse erfolgt die erste Prozessverschlankung, indem überflüssige Schritte identifiziert und eliminiert werden.
Erst nach dieser Analyse und Optimierung wird ein passendes IT-System ausgewählt, das die optimierten Prozesse bestmöglich unterstützt, was zu einer besseren Abstimmung zwischen Geschäftsanforderungen und Technologie beiträgt
Prozesserhebung und -analyse: Verstehen der Geschäftsprozesse: Identifiziere die wichtigsten Geschäftsprozesse, die das System unterstützen soll. Dies kann durch Interviews, Workshops oder die Analyse bestehender Dokumentationen erfolgen.
Modellierung der Prozesse: Verwende Werkzeuge wie BPMN (Business Process Model and Notation), um die Prozesse visuell darzustellen. Hierbei sollten die Schritte, Entscheidungen, Akteure und die Reihenfolge der Aktivitäten klar beschrieben werden. Prozesse, die visuellen Modellen dargestellt werden, erleichtern es technischen und nicht-technischen Stakeholdern leichter miteinander kommunizieren.
Verbesserung der Prozesse: Identifiziere ineffiziente oder redundante Schritte und optimiere die Prozesse, bevor sie in das System integriert werden. Dies könnte die Automatisierung bestimmter Schritte beinhalten oder das Entfernen unnötiger Aufgaben.
Validierung der Prozesse: Stimme die modellierten und optimierten Prozesse mit den Stakeholdern ab, um sicherzustellen, dass sie den Geschäftsanforderungen entsprechen.
Prozesse in Software umsetzen: Wähle eine Plattform oder Technologie, die die Umsetzung der definierten Prozesse unterstützt. Dies kann ein Workflow-Management-System, eine Business-Process-Management-Suite (BPMS) oder eine spezifische Softwarelösung sein.
Automatisierung und Integration: Setze die Automatisierung der Prozesse um, indem du sie mit den entsprechenden Systemen und Datenbanken verbindest. Dies könnte z.B. durch API-Integrationen oder die Verwendung von RPA (Robotic Process Automation) erfolgen.
Fehlerbehandlung und Eskalationspfade: Definiere, wie Fehler im Prozess behandelt werden und welche Eskalationspfade für kritische Prozessschritte notwendig sind.
Überwachung und Anpassung: Implementiere Monitoring-Tools, um die Performance und Effizienz der implementierten Prozesse zu überwachen. Sammle Feedback von Benutzern und passe die Prozesse bei Bedarf an.
Kontinuierliche Verbesserung: Führe regelmäßige Reviews der Prozesse durch, um sicherzustellen, dass sie weiterhin den Geschäftsanforderungen entsprechen und gegebenenfalls weiter optimiert werden.
Schulung und Adoption: Schule die Endbenutzer, die mit den Prozessen interagieren werden, um sicherzustellen, dass sie verstehen, wie die Prozesse funktionieren und welche Tools sie verwenden müssen.
Change-Management: Implementiere Strategien für das Change Management, um eine reibungslose Einführung der neuen Prozesse im Unternehmen zu gewährleisten.
Die Digitalisierung ist ein mächtiges und notwendiges Werkzeug, aber sie ersetzt nicht die Notwendigkeit, Prozesse gründlich zu überdenken und zu verbessern. Nur so kann das volle Potenzial der Digitalisierung ausgeschöpft werden.
Processes first: Der Turbo für Ihre Digitalisierung!